Freitag, 23. Juli 2010
Nur ein Wort
Was war das denn? Diesen Zustand kannte ich noch nicht! Wie oft habe ich schon darüber gestaunt: Es fühlt sich so merkwürdig an, wenn man aus dem Schlaf geholt wird und regelrecht live dabei ist beim Übergang von Nichtwachsein in Wachsein. Der eigene Körper und alles, was sonst noch zu mir gehört, erlebt eine Art Auferstehung. Das ist ein sehr schöner Vorgang. Auch wenn dabei Müdigkeit an der Oberfläche liegt. Da ist dann doch diese unendliche Energie des Lebens im Spiel, die mich daran erinnert, dass ich da bin, dass es mich gibt. Und dass du da bist, dass es dich da draußen irgendwo gibt. Aber das, was da heute Vormittag geschehen ist, das war noch eine ganz andere Nummer. Ich war ja schon wach, aber trotzdem bin ich irgendwie wach geworden, sehr wach, so wach wie noch nie! Inzwischen sind fast zwei Stunden vergangen und ich muss das jetzt einfach mal aufschreiben. Als ich vorhin in den Spiegel sah, merkte ich, warum mir der Kiefer und der Bereich zwischen Mund und Ohren inzwischen weh tat: Ich sah im Spiegel das breite Grinsen eines überglücklichen Menschen und muss wohl schon fast zwei Stunden in diesem Zustand eingefroren gewesen sein. Meine Augen sahen verheult aus. Aber ich hatte doch gar nicht geweint. Diese Berührung muss echt heftig und unerwartet stark gewesen sein. Was war das? Wir hatten doch einfach nur telefoniert, einfach nur geredet. Sie sagte mir, sie hätte noch zu tun und wollte auflegen. Ja, genau. Dann kam dieser Moment. Bevor sie auflegte, schwieg sie eine Weile und dann sprach sie es aus. Es war tatsächlich wohl nur die Art und Weise, wie sie es tat. Oder dass sie es so freundlich und bewusst tat. Oder ihr fiel einfach nichts Besseres ein. Oder noch etwas ganz anderes, was ich nicht verstehen kann. Es war nur ein Wort. Nur ein Name
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Donnerstag, 15. Juli 2010
Donnerstag, 8. Juli 2010
Donnerstag, 1. Juli 2010
Halbfreunde
Vor vielen Jahren kam ein kleiner Junge aus einem kalten Land nach Deutschland. Seine Eltern hatten ihn einfach mitgenommen und er fand das Leben in diesem Land später auch ganz schön und heiratete so wie alle seine Freunde. Er wurde Clown in einem Zirkus und er liebte diese Arbeit. In seiner Stadt lebte eine Frau, die aus einem heißen Land nach Deutschland gekommen war. Sie kam ohne ihre Eltern, heiratete hier einen Mann aus einem anderen heißen Land und wurde auch Clown in einem Zirkus. Aber in einem anderen Zirkus. Einmal wollten die Chefs der beiden Zirkusse, dass ihre Clowns gemeinsam in einer Show auftreten. Die beiden Clowns kannten sich noch nicht. Und sie sollten sich vorher auch nicht treffen und sich dann an diesem Zirkusabend zum ersten Mal begegnen und die Menschen mit ihren spontanen Ideen zum Lachen bringen. Die Clowns waren einverstanden. Aber leider war der Clown, der aus einem kalten Land kam, gerade in einer schlimmen Lebenskrise. Und auch bei dem Clown aus dem heißen Land war leider etwas Schlimmes passiert. Etwas Furchtbares, etwas sehr sehr Trauriges. Trotzdem dachten beide: Arbeit ist Arbeit, wir machen das. Dann kam dieser besondere Zirkusabend. Das Zelt war ganz voll, denn die Leute liebten diese Clowns und sie hatten gehört, dass sie heute zum ersten mal gemeinsam eine Show machen würden. Und dass sie sich vorher nicht zum Üben oder Besprechen getroffen hatten. Alle waren sehr gespannt, als der Programmpunkt endlich dran war. Es war der letzte Punkt an diesem Abend. Alles war still. Dann bewegt sich etwas. Eine Sonne kam in die Manege. Es war einer der beiden Clowns, von Kopf bis Fuß als Sonne verkleidet. Und es wurde plötzlich wärmer und wärmer im Zirkuszelt. Der Clown lächelte und war still. Dann kam von der anderen Seite ganz leise und langsam der andere Clown. Er war weiß, oder so wie Glas. Die Zuschauer konnten erkennen, dass er von unten bis oben voller gefrorener Eisstücke war. Wie hat er die nur festgeklebt? Nicht einmal sein Gesicht war zu sehen. Oh, das musste aber sehr kalt unter dieser Verkleidung sein! Der Eis-Clown konnte nicht so richtig gucken. Der Sonnen-Clown sagte leise ein paar Worte, so dass der andere langsam näher kommen konnte. Dann standen sie beide da, richteten sich zueinander, zum Publikum, und wieder zueinander. Eine ganze Minute sagten sie nichts. Aber es war niemandem langweilig. Im Gegenteil. Noch nie hatten die Leute so etwas gesehen und jeder spürte diese Wärme im Raum und dachte: Oh, das muss aber sehr heiß sein unter dieser Sonnen-Verkleidung! Und jeder ahnte diese Kälte bei dem anderen Clown und einige Zuschauer hatten sogar Gänsehaut. Dann fing die Sonne plötzlich an zu reden. Sie sagte:
Ich bin die Sonne
Ich bringe Licht und Wärme auf die Erde
Ich kann Leben geben
Ich kann Liebe schenken
Wenn das nicht geht
Dann verbrenne ich
Dann war sie still. Sie schwieg. Im Zirkuszelt herrschte Totenstille, bis das Eis zu reden begann:
Ich bin die Erde
Ich habe alles
Was Pflanzen und Tiere und Menschen zum Leben brauchen
Aber ohne Sonne
Bin ich nichts
Ohne Sonne
Bin ich einfach ein großes Stück Eis
Ohne Sonne
Sterbe ich
Dann war der Eis-Clown still. Und weil er jetzt schon eine Weile neben der Sonne gestanden hatte, schmolz auf einer Seite langsam sein Eis. Im Gesicht wurde jetzt ein Auge frei. Das Publikum war ihm egal. Egal? Er konnte jetzt endlich sehen, wer diese Sonne war. Aber er konnte nur ein paar Sekunden klar sehen, denn das Eiswasser hatte sich inzwischen mit Tränenwasser gemischt und er hielt seine Augen einfach geschlossen. Die Menschen im großen Zirkuszelt spürten, wie er sich fühlte. Er war noch nie so glücklich wie an diesem Abend. Und noch nie so unglücklich. Und weil das Publikum immer noch so leise war, hörte er ganz deutlich, wie ein kleines Kind unter den Zuschauern seiner Mutter zuflüsterte: Mama, ich muss dir was sagen. Die Mutter sagte leise: Ja, mein Kind, was ist denn? Niemand merkte, dass sie in ihren Gedanken abwesend war. Und vielleicht hörte sie es auch gar nicht, als ihr Kind zu ihr sagte: Schön, dass du da bist.
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